Über die Kunst, Freunde zu ertragen
Dale Carnegie schrieb vor rund 50 Jahren das Buch "Wie man Freunde gewinnt" Über die schlaraffische Freundschaft schrieb er nichts. Er schrieb auch nichts darüber, wie man die Fähigkeit in sich selbst entwickelt, zu akzeptieren, dass nicht jeder so ist, wie man selbst, dass er "mal mehr, mal weniger" einfach "anders" ist. Und dass Toleranz gegenüber diesem Anderssein die wichtigste Voraussetzung ist, mit seinem eigenen Anderssein vom andern akzeptiert zu werden.
Vor vielen Jahren habe ich einmal den Satz gelesen: "Man muss den Andern brutto lieben". Einer der klügsten Sätze, die ich zum Thema Freundschaft kenne. Brutto, das heißt eben, ihn samt der Tara zu akzeptieren, der "Verpackung", egal, ob die aus altem Zeitungspapier besteht, oder aus Goldbrokat.
Und ist es nicht so, dass wir oft viel zu viel auf eben diese Verpackung sehen, auf äußerliches, ohne das genauer zu kennen, was darin "eingepackt" ist? Dabei ist ein goldener Ball in Zeitungspapier doch sehr viel mehr wert, als ein verfaulter Apfel, der in Brokat eingewickelt ist.
Der Rahmen unserer Sippungen, das immer-wieder-sehen, ermöglicht uns, zumindest ein bisschen intensiver auf die Tara zu sehen und sie als solche einzustufen. Netto wünschen wir sie uns natürlich bei Manchem etwas angenehmer, so, wie der andere sie von uns wünscht. Aber wenn wir dasselbe mit dem Freund tun, was er mit uns tut, nämlich das Brutto so akzeptieren, wie es ist, dann können wir uns gegenseitig als Freunde sehen, die zwar verschieden sind, die aber eines gemeinsam haben: das Vergnügen an den Sippungen und an der Gemeinsamkeit.
Und ist es nicht ein Trost zu wissen, dass wir mit den Sassen nicht verheiratet sind und sie nicht 24 Stunden täglich ein ganzes Leben lang ertragen müssen, sondern dass es lediglich darum geht, sie mit allen ihren Eigenarten in den Sippungen für wenige Stunden als Mitmenschen zu akzeptieren, brutto, denn sie umfassen ja unser gemeinsames Spiel, die Sippung, und die Gespräche und den Gedankenaustausch vor und nach der Sippung.
Ich glaube fest daran, dass Toleranz sich nur dann entwickeln kann, wenn wir bereit sind, diesen ersten Schritt, das Brutto-Akzeptieren, zu tun. Dann sind auch die Bereitschaft und die Geduld da, den Inhalt der Verpackung näher zu prüfen. Und wenn es dann ein Mehr wird, eine tiefere Freundschaft, weil der Kern zu uns passt, dann ist es keine Kunst, einen Freund zu ertragen, sondern ein Glück, das uns diese Freundschaft schenkt.
LULU
Bild: Rt Nix-Nutz auf der Rostra in der h. Porta; Quelle: Rt Lignus.